Das Wild-Heerbrugg 30mm 77°

stammt aus einer Zieloptik für einen Panzer. In welchem Fernrohr es genau verbaut wurde, habe ich noch nicht recherchieren können. Aufgrund der Fertigung würde ich auf Mitte der 1980er Jahre tippen. Aufgrund der Grunddaten dürfte es sich hier um DAS Wild Design handeln. Lt. Manfred Pieper ein Sechslinser. Erkennen kann man 9 Reflexe. Die Linsen sind in 2-1-1-2 Anordnung. Allerdings ist die Feldlinse nicht oder nur sehr schwach gewölbt. Die Angabe daher nicht gesichert.

Der leider viel zu früh verstorbene Manfred Pieper aus Gelsenkirchen hat diese Okulare mit einer sehr sorgfältig ausgeführten 2″ Steckhülse versehen und vertrieben (2″Filtergewinde ist vorhanden). Das Okular bietet mit einer Feldblende von 42mm praktisch das maximale, mit 2″ mögliche tatsächliche Gesichtsfeld. Ich konnte dieses Okular mit einem 31mm Nagler vergleichen, welches etwas weniger tatsächliches Feld bietet*. Somit ist dieses Okular als Übersichtsokular bestens geeignet. Die Verzeichnung des Okular ist deutlich geringer als beim Nagler, das sieht man sehr schön am Mond.
Nachteilig ist hier lediglich die Schärfe am Gesichtsfeldrand. An meinem f/5.2 Newton empfinde ich diese als noch gut.#Ab ca. 60% fällt diese zum Rand ab. Mitbeobachtern ist dies kaum aufgefallen. Sie ist allerdings deutlich besser als bei einem Erfle gleicher Brennweite. Mir stand hier ein 32mm Omegon SWA zur Verfügung. Ebenso zeigt es weniger laterale Farbe. Bildfehler zeigen sich als Astigmatismus, welcher die Koma überlagert. Koma ist somit nicht zu erkennen. Das Nagler bietet hier eine deutlich bessere Korrektur. An Spiegel schneller als f/5 würde ich dieses Okular weniger empfehlen. Allerdings gibt es in der Preisklasse praktisch kaum Alternative.
Das Wild-Heerbrugg wird gelegentlich mit dem 30mm Leitz 88° Okular verwechselt, diese ist aber deutlich schwerer und Komplexer gebaut und bietet nochmals einen Qualitätssprung auch gegenüber dem Nagler. Leider ist diese praktisch nicht mehr zu bekommen. Angebote werden aber gerne entgegen genommen.

*Die Brennweite stimmt nicht ganz mit den Verkaufswerten überein. Da ich die Brennweite meines Spiegel mit 1582mm sehr genau kenne, habe ich über die Austrittspupille eine Brennweite von 32mm ermitteln können. Die AP habe ich mit einem Messschieber bestimmt. Somit lässt sich das etwas größere tatsächliche Feld gegenüber dem Nagler erklären.

Das scheinbare Gesichtsfeld liegt im Bereich der Angabe von 77°. Ein Paarvergleich gegen eine helle Fläche mit meinem 20mm Nagler zeigt in etwa das gleiche scheinbare Gesichtsfeld (beide Okulare am Auge und die Flächen zur Deckung bringen). Es könnte etwas größer als die 77° sein.

Vorteilhaft ist, dass die Feldblende vor der ersten Linse liegt. Manfred Pieper hat die Position exakt ermittelt und diese in die Steckhülse integriert. Vorteil dieser Lage ist, dass Staub auf der Linse nicht direkt bemerkbar ist.
Dies ist ein Problem vieler Erfle Okulare. Dort ist die erste Linse sehr häufig auch die Feldlinse. Staub darauf wird also scharf abgebildet. Gerade am Mond oder Sonne ist das sehr störend. Auch verleitet das gerade Anfänger zu übermässigen Putzverhalten.

Die Augenlinse meines Okulars weißt minimal Beschädigungen in Form von winzigen Kratzer auf. Diese sind nur in hellem Licht zu erkennen. Bedenkt man den ursprünglichen Einsatz und das Alter des Okulars, so kann man sagen, dass die Vergütung sehr hart ist. Nur bei meinem alten Panzerokular war diese noch besser härter.
Die Vergütung erscheint als leichte bläulicher Schimmer auf den Linsen. Sie erzeugt eine ganz leichten Gelbstich an weißen Flächen. Allerdings bei weitem nicht so auffällig wie man es von russischen Optiken kennt. Man muss schon sehr genau vergleichen. Diese leichte Gelbstich könnte sich positiv auf den Farbfehler von Fraunhofer Achromaten auswirken. Ein Test steht hier noch.

Als Besonderheit bietet dieses Okular eine Eigenfokussierung in einem weitem Bereich auf. Somit lässt sich das Okular Parfokal zu meinen Pentaxen einstellen. Gerade bei sehr hoher Vergrößerung ist das genial. Wenn man das beobachtet Objekt einmal aus dem Gesichtsfeld verloren hat und nicht sofort findet, kann man einfach auf die Übersicht zurück gehen und wieder einstellen ohne nachfokussieren zu müssen. Gerade bei schwachen Galaxien ist das sehr von Vorteil und ich möchte das nicht mehr missen. Die Randunschärfe nehme ich dafür gerne in Kauf.

Fazit: Wie geschrieben gibt es in dieser Preisklasse praktisch keine Alternativen. Das Okular wird immer mal wieder in Foren oder ebay angeboten. Ich konnte Preise zwischen 120€ und 180€ ermitteln. Manfred Pieper bot diese Okulare zuletzt mit 250€ an. Dieser Preis erscheint mir heute heute zu hoch, da gibt es durchaus Alternativen welche es 2008 noch nicht gab.
Man sollte sich vom äußeren Zustand der Okulare nicht abschrecken lassen, es sind Militäroptiken und waren im Einsatz. Fehlerfreie Exemplare wird man nicht finden. Wir wollen die Teile aber nicht ansehen, sondern durchsehen.
Mit einem Augenabstand von 13mm vom oberen Rand kann auch mit Brille das Feld noch gut überblickt werden. Man sollte aber bedenken, dass dieser oft etwas rauh ist. Ohne Brille ist der Einblick extrem gut. Die Linse ist nach innen gewölbt und damit in sicherer Entfernung der Wimpern. Auch zeigt sich die AP als sehr gutmütig, Blackouts durch Verlust der AP treten selbst bei nervösen Beobachtern nicht auf. „Surfen“ in der Milchstrasse oder den offenen Haufen in der Cassiopeia ist mit diesem Okular ein Genuss. Es sei jedem mit einem Spiegel nicht schneller als f/5 ans Herz gelegt. Wenn man es angeboten bekommt kann man bedenkenlos zugreifen. Es verliert nicht an Wert und wird immer seinen Liebhaber finden. Darüber hinaus hält man ein kleines Stück Astrogeschichte in der Hand.

Link: Webseite von Manfred Pieper im Webarchive