Große Teleskope sind anfälliger für Seeing!

Was Seeing genau ist und wie es entsteht, ist in diesen Artikel auf Wikipedia genau beschrieben: https://de.wikipedia.org/wiki/Seeing
Ich empfehle diesen Artikel zu lesen 😉

Wie so vieles in der Gerüchteküche hat auch diese Aussage viele Köche und hält sich schon seit Jahrzehnten hartnäckig in der Astroszene.
Vor allen wenn es darum geht einem Einsteiger oder Aufsteiger die „Gefahren“ von zu viel Öffnung aufzuzeigen.
Einer der Köche, auf den ich hier nicht aller Tiefe eingehen werde ist, dass bis in die 90er Jahre hinein große Spiegel aus sehr dickem Spiegelmaterial gefertigt wurden.
Das Verhältnis Durchmesser zu Dicke lag in Bereichen von 1:6 bis 1:10. Letztere wurde schon als „dünn“ bezeichnet. 50-60mm dicke Spiegel waren üblich. Genauer ist die Bezeichnung Spiegelträger. Der eigentliche Spiegel ist eine wenige Mikrometer dicke Schicht aus Aluminium, die im Hochvakuum auf den Träger aufgedampft wird. So gewaltige Glasklötze sind perfekte Wärmespeicher. Nach Sonnenuntergang sinkt die Umgebungstemperatur kontinuierlich. Das Glas versucht die gespeicherte Wärme abzugeben. Bei einem Spiegel ist aber der Rand dicker als die Mitte des Spiegels.
Somit kommt es durch unterschiedliche Temperatur im Glas zu Verspannungen, die eigentlich perfekte Spiegelform wird nicht erreicht. Die Mitte des Spiegels ist stets kälter als der Rand und zieht sich daher stärker zusammen. Überkorrektur entsteht. Dazu kommt, dass das Glas selbst nicht 100% homogen ist und lokale Deformationen entstehen, die das Bild verschlechtern. Zusätzlich kommt es zu Luftbewegung vor dem Spiegel, welche zu einer schlechten Abbildung führen. Sehr dicke Spiegel erreichen niemals ein thermisches Gleichgewicht und zeigen nur selten was eigentlich mit ihnen möglich ist. Hochwertige Spiegelträger aus Quarz, Pyrex oder ähnlichen Gläsern verschafften bedingt Abhilfe, sie verhalten sich deutlich gutmütiger bei Temperaturdiffernzen, haben aber ihren Preis.
Aus gutem Grund sind die Kuppeln der Profiteleskope klimatisiert und die Spiegel, Teleskopstruktur und das Gebäude werden auf die zu erwartenden Aussentemperatur herunter gekühlt.
Heute werden Spiegel aus deutlich dünnerem Material gefertigt. Amateure fertigen erstklassige Spiegel mit einem Verhältnis von 1:15 – 1:25! Ganz verwegene gehen noch darunter. Mein 460mm Spiegel liegt bei 1:18.
Möglich macht das eine aufwändige Lagerung des Spiegels die Teleskopbauer erst Anfang der 90er kontinuierlich weiter entwickelt haben. Mit meinem Spiegel kann man bereits 30 Minuten nach dem Aufbau mit hoher Vergrößerung beobachten. Dank der offenen Bauweise ist auch die Luft vor dem Teleskop kein großes Thema mehr.

Die zu betrachtenden Teleskope sind thermisch perfekt stabile Refraktoren mit einem theoretischen Strehl von 0.999. Das Seeing ist perfekt, die Luftschichten bewegen sich nicht. Das Seeing ist also perfekt.
Wir verwenden ein Teleskop von 100mm Öffnung und einer Brennweite von 400mm, also f/4.0. Daneben steht ein 200mm Teleskop mit 800mm Brennweite, ebenfalls f/4.
Zum Vergleich wird, üblicher- und fälschlicherweise, in beiden Teleskopen das gleiche Okular, z.b. ein 3mm Okular verwendet (für die Bilder ist ein 1,7mm Okular in Aberrator eingestellt).
Im 100mm zeigt sich eine Sternabbildung wie aus dem Lehrbuch, ebenso in dem 200mm.
Da wir das gleiche Okular verwenden, erscheinen beide Sterne (genauer Beugungsscheiben) gleich groß.
Wir sehen einen gleichmäßig runden Stern , dazu den ersten Beugungsring als zarte Aufhellung.

Nun simulieren wir Seeing in Aberrator mit einem von Faktor 0,15.
Die Art der Störung wird vom Programm 1:1 auf beide Teleskope übernommen.


Im 100mm sieht man das so gut wie nicht, sehr wohl aber im 200mm. Hier beginnt der Stern zu zappeln, der erste Beugungsring zerfällt in Einzelteile und ist nicht mehr gleichmäßig um die Beugungsscheibe zu erkennen.
Klare Feststellung:

„Das große Teleskop reagiert empfindlicher auf das Seeing!“

Und diese Aussage ist falsch, nur wo liegt der Fehler genau?
Hierzu müssen wir den Punkt Beugung und Auflösung betrachten. Ein Teleskop von endlicher Öffnung kann einen unendlich kleinen Punkt, wie einen Stern, nicht wieder als unendlich kleinen Punkt abbilden. Durch Beugung entsteht eine Airydisk oder Beugungsscheibe. Um dieses herum zeigen sich Beugungsringe. Vergleichbar mit den Wellen auf einem glatten See, in den man einen sehr kleinen Stein senkrecht von oben wirft.
Weiter gilt: Die Auflösung steigt linear zur Öffnung. Ich kann also kleinere Details sehen oder anschaulicher, engere Doppelsterne trennen. Somit wird also ein Stern im 200mm Teleskop kleiner abgebildet. Die Beugungsscheibe ist nur halb so groß.
Doppelte Öffnung, verdoppelt die Auflösung und halbiert den Durchmesser der Airydisk.
Das sieht man aber nur, wenn man in einem Vergleich mit der gleicher Vergrößerung beobachtet!
Die Vergrößerung ergibt sich aus der Brennweite des Teleskop dividiert durch die Brennweite des Okular. Bleiben wir beim 1,7mm Okular als Basis, erreichen wir, wie auf den Bildern zu sehen 234- und 468fache Vergrößerung
Um die Aussage bezgl. Auflösung und Seeing erneut zu überprüfen, müssen wir also zwei verschiedene Okulare verwenden um gleiche Vergrößerungen zu erhalten.

Wir fangen also von vorne an. Wir verwenden zwei verschiedene Okulare um in beiden Teleskopen die gleiche Vergrößerung zu erhalten und bemerken, dass bei perfektem Seeing der Stern (Beugungsscheibe) im 200mm, wie erwartet, nur noch halb so groß erscheint wie im 100mm Teleskop.
Ein Doppelstern, Ari42 im Widder, da dieser an der Auflösungsgrenze für 100mm liegt, verdeutlicht auch die gestiegene Auflösung. Er wird deutlicher getrennt.
Die Airydisk und der erste Beugungsring zusammen im 200mm sind so groß wie die Airydisk (ohne Beugungsringe) allein im 100mm Teleskop.


Was sehen wir nun, wenn sich das Seeing verschlechtert? Im 100mm nicht wirklich viel. Der Doppelstern erscheint etwas unruhiger, der erste Beugungsring erscheint gestört und nicht wirklich rund. Im 200mm Teleskop können wir erkennen, dass der Doppelstern noch getrennt erscheint, die ersten Beugungsringe aber nicht mehr wirklich zu erkennen sind. Das alles zu erkennen bedarf aber schon etwas Übung. Zu bedenken ist, dass der visuelle Eindruck am Teleskop nicht statisch wie auf einem Bild ist, sondern der Stern zappelt und bewegt sich je nach Frequenz des Seeing. Um das zu verdeutlichen habe ich eine Reihe von Beispielen erzeugt.

Was wir tatsächlich sehen, ist ein deutlich besser sichtbar gemachtes Seeing aufgrund der doppelt so hohen Auflösung des 200mm Teleskop!
Somit ist die Aussage, dass größere Teleskope empfindlicher auf das Seeing reagieren widerlegt.

Richtig ist: Ein größeres Teleskop ermöglicht es mir die Störung durch das Seeing überhaupt zu erkennen!

Wie hilft uns diese Erkenntnis in der Praxis weiter und welchen Einfluss hat sie auf die Wahl eines neuen Teleskops?
Der Grund warum der Sternfreund ein größeres Teleskop anschaffen möchte sind zum einen mehr Lichtsammelfläche und mehr Auflösung.
Das 200mm Teleskop trennt engere Doppelsterne, es zeigt Kugelhaufen besser aufgelöst, es zeigt am Planeten feinere Details und es zeigt eben leider auch das Seeing besser aufgelöst. Seeing ist aber nicht wie in den Bildern statisch. Selten erlebt man, dass das Seeing über die gesamte Beobachtungszeit hinweg alle feinen Details unsichtbar macht, auch wenn ich das in der Praxis schon erlebt habe. Es gibt immer wieder Momente, die einem Staunen lassen und Details an der Auflösungsgrenze zeigen. Wenn nicht, dann muß ich halt mit der Vergrößerung runter.
Und genau da stoßen wir irgendwann an ein Problem. Ich kann die Vergrößerung an einem gegebenen Teleskop zwar ohne Grenze erhöhen, aber nicht verringern.
Unser eigenes Auge setzt hier die Grenze. Unsere Pupille kann sich im Durchschnitt auf maximal 7mm öffnen. Jüngere Astronomen und „Ausnahmetalente“ auch durchaus etwas weiter. Wir rechnen hier aber mal mit 7mm.
Die Austrittspupille am Okular berechnet sich aus AP = D / V, also Durchmesser der Optik dividiert durch die Vergrößerung.
Mit einem 2″ 30mm Okular erreichen wird an dem 200mm Teleskop mit 800mm Brennweite 26x und somit eine AP von 7,7 mm. Wir nutzen also gar nicht mehr die volle Öffnung, da unsere Pupille wie eine zweite Blende wirkt. Rund 0,7mm Lichtkreis beleuchten unsere Iris und gelangen nicht in die Pupille, werden somit nicht genutzt. Noch weniger Vergrößerung, z.b. mit einem 35mm Okular sind sinnlos.
Wie verhält es sich z.b. bei eine 14″ Schmidt-Cassegrain? Hier haben wir 360mm Öffnung und rund 3900mm Brennweite? Mit einem 2″ 30mm Okular erreichen wir als kleinste Vergrößerung 140x. Selbst ein 2″ 35mm Okular liefert noch 111x. Hier ist es schon problemlos möglich Störungen durch Seeing deutlich zu erkennen. Es gibt Plössl Okulare mit 40mm Brennweite in 1,25″. Diese zeigen aber den gleichen Bildausschnitt wie ein 25mm Okular, nur mit geringer Vergrößerung und ein sehr kleines Eigengesichtsfeld von gerade mal 40°. Denkbar wäre hier mit einem 3″ Okularauszug zu arbeiten und 3″ Okulare zu verwenden. Leider ist das Angebot hier mehr als übersichtlich.
Gelegentlich werden gute Militäroptiken in Bereichen von 40-50mm Brennweite mit 2″ Anschluß angeboten. Wer ein solches angeboten bekommt, sollte hier zugreifen.

Im oben verlinken Wikipedia Artikel kann man auch sehen, dass die Störungen durch das Seeing in der räumlichen Größe variieren kann. Es gibt kleinere und größere „Blasen“
Treten vorwiegend größere Blasen auf, kann ein kleineres Teleskop theoretisch im Vorteil sein. Hat man das Glück längere Zeit quasi „mittig“ durch eine solche Blase zu schauen oder zwischen zwei solcher Blasen, ist das Seeing weniger unruhig. Die Wahrscheinlichkeit eine „Kante“ zu erwischen ist mit mehr Öffnung höher. Dieses „Argument“ liest man immer wieder.
In der Praxis konnte ich so etwas bisher noch nie beobachten, es wäre auch seltsam, wenn „Seeingblasen“ eine bestimmte Teleskopöffnung bevorzugen. Solange man die Vergrößerung richtig wählt ist, ist der Effekt in jedem Teleskop gleich.

Ein weiterer „Koch“ in der Gerüchteküche ist nicht das Seeing, welches durch die Atmosphäre verursacht wird, sondern lokal vor Ort entsteht. Insbesondere bei geschlossenen Geräten, wie Schmidt-Cassegrain oder ähnliche Geräte verwenden.
Aber auch Tuben aus dünnem Alu bei Dobson Teleskopen.
Durch systematische Messungen konnte u.a. Kurt Schreckling nachweisen, dass zwei unterschiedlicheTemperaturgefälle auftreten können. Zum einen gibt einen Unterschied von der Öffnung zum Spiegel, dramatischer ist aber der Gradient, der zwischen der Oberseite (die zum Himmel zeigt) und der Unterseite (zum isolierenden Untergrund zeigt) auftritt. Nach oben verhält sich ein nicht isolierter Metalltubus fast wie ein idealer „Schwarzkörper„. Er gibt an der Oberseite ständig Wärme an den Weltraum ab und kühlt daher stärker aus als die Unterseite, die durch den Boden isoliert wird und auch im Winter deutlich wärmer ist als der Weltraum, den die Oberseite „sieht“.
Der Temperaturunterschied der Öffnung zum Spiegel sorgt für eine ständige, gleichmäßige Luftbewegungin der Längsachse des Tubus. Diese wird auf dramatische Weise durch eine turbulente Bewegung von der Unterseite zur Oberseite gestört. Das Bild bricht ein und es ist kaum Möglich mit hohen Vergrößerungen zu beobachten. Das große Teleskop ist anfälliger für Seeing.
Die Lösung ist ganz einfach. Der Tubus muß vollständig isoliert werden. Im einfachsten Fall verwendet man hierzu mit Alu kaschierte, dünne Styropormatten, wie sie zur Isolierung von Wänden an Heizkörpern verwendet werden. Der Unterschied zwischen einem isolierten Tubus und einem ohne Isolierung ist erstaunlich. Auf dem ITV konnte ich das sehr eindrucksvoll beobachten. Ein C11 mit Isolierung zeigte ein wunderbares Bild von Saturn. Ein etwas weiter stehendes C8 ohne Isolierung ließ nur eine geringe Vergrößerung zu und war auch recht schnell auf der Schmidtplatte zugetaut. Der Besitzer trug es mit Fassung: „Das Seeing war eh beschissen…“ 😉
Eine elegante Lösung, die eher aus Transportgründen entstanden ist, ist die Verwendung eines Gitterrohrtubus. Bei Dobson ab 10″ ergeben sich nicht nur deutlich weniger Transportprobleme, sondern durch die offene Bauweise auch kein Tubusseeing. Hier ist die verbleibende Störquelle nur noch der Beobachter selber, der mit seiner Körperwärme lokales Seeing verursachen kann. Gerade bei großen Teleskopen ab 12″ kann es Vorteile bringen an einem Dobson auf der östlichen Seite zu stehen, also den Dobson zu schubsen, statt westlich zu stehen und zu ziehen.
In Deutschland haben wir überwiegend Wind aus westlichen Richtungen, somit wird die Wärme nicht vor dem Tubus entlang abgeführt und man hat weniger Seeing durch seinen eigenen Körper.